2002
Der Turnverein Helmbrechts
zum 140. Jubiläum von Reinhard Müller
In seiner langen und wechselvollen Geschichte hat sich der Turnverein zwangsläufig immer wieder verschiedenen äußeren Gegebenheiten anpassen müssen. Trotz des ständigen Wandels ist der TVH seiner Tradition und seinen ursprünglichen Zielen treu geblieben und hat sich viele Gemeinsamkeiten mit der Gründungszeit erhalten.
Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Turnbewegung in Franken Fuß fasste, schloss sich auch die Helmbrechtser Jugend zusammen, um nach der Vorstellung von Turnvater Jahn ihre Freizeit zu gestalten. So wurde unser Turnverein am 24. April 1862 im Schützenhaus der Stadt Helmbrechts gegründet. Die Vorstandschaft bestand damals aus drei Personen, einem Vorstand und Sprecher, einem Turnwart und einem Schrift- und Säckelwart.
Nach Vereinbarung mit der Bürger- und Schützengesellschaft konnte der Turnverein einen Teil des Schießplatzes für seine Übungen und die Lokalitäten des Schießhauses für seine Versammlungen nutzen.
Noch im Gründungsjahr 1862 trat der Verein dem Bayerischen Turnerbund bei und war so in die große Turnergemeinde aufgenommen.
Der Verein war ohne Turnsaal und eigene Lokalität. Diese Tatsache erschwerte den Aufbau und die Vereinsarbeit. Die Turnstunden wurden nur in den Sommermonaten abgehalten und die Versammlungen fanden in gemieteten Lokalen statt.
Die Jahre 1870/71 brachten schwere Zeiten für den Verein. Durch die Einberufungen zum Feldzug gegen Frankreich wurde der Verein nahezu mitgliedslos und damit auch mittellos. Über ein Jahr ruhte der Turnbetrieb. Erst ab 1872 kam wieder Leben in den Verein und der Aufschwung war so stark, dass nun sogar ganzjährig geturnt wurde. Dazu mussten verschiedene Räumlichkeiten angemietet werden.
1883 lesen wir zum ersten Mal, dass die wirtschaftliche Lage zufrieden stellte. Das Barvermögen des Vereins war auf 220 Mark angestiegen. In diesem Jahr führten politische Meinungsverschiedenheiten unter den aktiven Turnern zur Spaltung bzw. zur Gründung eines zweiten Vereins. Trotz guten Einvernehmens im turnerischen Bereich erfolgte eine Wiedervereinigung erst im Jahr 1927.
Am 18. August 1889 hielt der Nordoberfränkische Gau sein Turnerfest in Helmbrechts ab, das von den beiden Vereinen gemeinsam organisiert wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde das Fehlen einer Turnhalle als gravierender Mangel empfunden. Noch im gleichen Jahr wurde deshalb der Bau einer Halle in Angriff genommen, ein Grundstück für 1800 Mark erworben und ein Baufonds gegründet.
Neun Jahre später, 1898, wurde der Bau beschlossen und der Grundstein gelegt, im Juni 1899 die neue Halle eingeweiht. An den Festlichkeiten nahmen alle Ortsvereine und 22 Turnvereine, unter anderem aus Plauen und Asch teil. Der Höhepunkt war ein Festzug und die Schlüsselübergabe.
Der Mitgliederstand betrug um die Jahrhundertwende 165, einschließlich fünf Ehrenmitgliedern.
In den folgenden Jahren wurden zahlreiche Turnfeste, Fahnenweihen, Sängerfeste und Schützenfeste besucht und auch alljährlich Turnfahrten an den Himmelfahrtstagen durchgeführt. Diese Tradition ist bis heute erhalten geblieben.
1907 wurden die „Blätter für die Angelegenheiten des Frankenwald-Turngaues“ ins Leben gerufen und bei Christian Wurzbacher in Helmbrechts gedruckt.
Im Jahr 1912 feierte man das 50-jährige Vereinsjubiläum und zum Andenken pflanzten die Mitglieder in den Anlagen des Verschönerungsvereins am Kirchberg die Jahneiche.
Der 1. Weltkrieg, bei dem die Jugend für den Turnbetrieb und für die Zahlung der Beiträge fehlte, brachte den Verein so in Schwierigkeiten, dass von 1915 bis 1918 keine Zinsen mehr bezahlt werden konnten.
Erst 1919 brachte erneut einen Aufschwung. Der Turnbetrieb wurde wieder regelmäßig aufgenommen, und im September kam es zu einem Städtewettkampf zwischen Münchberg und Helmbrechts. Bis 1922 erhöhte sich die Mitgliederzahl auf 290. Die Krise war damit überwunden und brachte auch die Erlösung aus der Finanznot, denn Heinrich Leupold aus Cambridge schenkte dem Verein 16.000 Mark und gab außerdem noch eine sehr günstig zu verzinsende Hypothek.
Um die Geselligkeit zu pflegen, wurde 1923 eine Orchestervereinigung, eine Sängerriege und eine Theaterabteilung gegründet.
1925 beschloss man den Bühnenanbau an die Turnhalle, der dem Verein allerdings weitere 10.000 Mark Schulden brachte. Das verursachte heftige Auseinandersetzungen im Verein und hatte zur Folge, dass Gesamtvorstand und Turnrat ihre Ämter bis zur Neuwahl niederlegten.
Verschiedene Gauspieltage und Meisterschaften fanden in den folgenden Jahren in Helmbrechts statt, z.B. die oberfränkische Handballmeisterschaft im Jahr 1930. Die TV-Turner nahmen zahlreich an auswärtigen Turnfesten und Meisterschaften teil. 1931 wird zum ersten Mal die Teilnahme von Turnerinnen erwähnt, die sich am 2. Bayerischen Frauenturnfest in Memmingen beteiligten.
1933 wurde der TV 1862 dem Reichsbund für Leibesübungen angeschlossen. In den folgenden Jahren war die Anzahl der Mitglieder rückläufig, was wohl in den Zeitverhältnissen und in der außerordentlichen Inanspruchnahme der Jugend durch die Partei begründet war. Trotzdem wurde immer wieder von Wettkämpfen aller Art berichtet, wie Wettturnen, Gelände- und Waldläufe, Skiläufe, Wettschwimmen und die Teilnahme an Turnfesten. Schon damals konnte sich das Angebot an Bewegungsmöglichkeiten sehen lassen.
Der 2. Weltkrieg brachte naturgemäß einen Niedergang der Vereinsaktivitäten und einen Rückgang der Mitgliederzahlen. Trotzdem ließen es sich die Helmbrechtser Turner nicht nehmen, 1937 das 75-jährige und 1942 das 80-jährige Vereinsbestehen zu feiern, wenn auch in schlichter Weise. Während des Krieges musste der Turnbetrieb einige Zeit ruhen, der Verein zählte nur noch 176 Mitglieder, und die Schulden konnten nicht gedeckt werden.
1946 wurden wieder eine Vorstandschaft und ein Turnrat bestellt, die den Wiederaufbau mit folgenden Aktivitäten in Angriff nahmen: Neue Satzungen, Festsetzung der Mitgliedsbeiträge, Ausbesserungsarbeiten an der Turnhalle, Ablösung der Resthypothek und Mitgliederwerbung.
Der Veranstaltungstaumel und die Tanzwut nach den durchlebten Schrecken und Nöten des Krieges kamen dem Verein finanziell zu Hilfe. In den Jahren 1946 und 1947 war der Saal 205 mal vermietet.
1948 hatte der Verein wieder 391 ordentliche Mitglieder, 56 Ehrenmitglieder und 60 Jugendliche, von denen der eine oder andere dem TVH bis heute treu geblieben ist.
Den Anforderungen des Turnbetriebes und der Veranstaltungen war nun jedoch die Turnhalle nicht mehr gewachsen. Ein Erweiterungs- und Erneuerungsbau wurde ins Auge gefasst, beschlossen und in die Tat umgesetzt, wobei sich die Turner aktiv an den Arbeiten beteiligten. Am 16. Dezember 1950 wurde die Halle eingeweiht und der Öffentlichkeit übergeben. Zu dieser Zeit zählte der Verein 703 Mitglieder.
Seit 1951 erfuhr der Turnbetrieb unter Leitung von Richard Rieß eine beträchtliche Ausweitung, und viele junge Leute fanden den Weg zum Verein und zu den Sportstätten. Von Turnfesten konnten viele Helmbrechtser Teilnehmer als 1. Sieger zurückkehren.
1952 feierte der TVH sein 90-jähriges Bestehen und brachte 10.000 Besucher in die 8.600 Einwohner zählende Stadt. Wohl auch motiviert durch diese beeindruckende Veranstaltung überschritt die Mitgliederzahl die Grenze von 1.000 Mitgliedern, von denen 420 Sportler aktiv waren.
1956 schlossen sich die Leichtathletikabteilung des TVH und des VfB Helmbrechts zusammen und wurden mit dieser Abteilung bayerischer Meister in den Jugendmannschaftsmeisterschaften.
1957 - im Jahr des 95-jährigen Vereinsjubiläums - mussten in der Halle Renovierungsarbeiten vorgenommen werden. So wurde die Heizungsanlage erneuert und ein Geräteraum sowie eine Dusch- und Waschanlage eingebaut.
Herbert Hirschberger, für viele hier bekannt und unvergessen, führte ab 1958 für 11 Jahre die Schülerabteilung des TVH. Fast 300 Jungen und Mädchen wusste er zu begeistern und hat bei 10 Jugendlichen sogar den Grundstein dafür gelegt, den Sport auch zum Beruf zu machen. Zu erwähnen ist hier auch noch die Kunstturnriege von Walter Geier, die 1961 in Schweinfurt den 3. Platz bei der deutschen Turnvereinsmeisterschaft erringen konnte. Ende der 60-iger Jahre legte Herbert Hirschberger aus Altersgründen sein Amt nieder und die Familie Geier verließ Helmbrechts, was für die genannten Abteilungen einen schweren Verlust bedeutete.
Bereits im Jahr 1962 wurden vom TVH Kinderturnstunden angeboten. Die damaligen Leiterinnen betreuten die „Kleinkinder“, etwa zwischen 4 und 8 Jahren, an Geräten und bei Spielen, und Mädchen bis 18 Jahre, um mit ihnen „Körperschule und Geräteturnen“ zu betreiben.
1962 wurde das 100-jährige Vereinsbestehen feierlich begangen. Ein Ehrenabend in der Turnhalle, Vorführungen sämtlicher Abteilungen und das Gauturnfest fanden ebenso statt wie ein Festkommers, ein Festzug und anschließende Wettkämpfe.
Für die Kinder wurde ein Luftballonwettflug veranstaltet. In den alten Unterlagen sind auch die Rückmeldungen der gefundenen Ballonüberreste vermerkt. So ist zu erfahren, dass der Luftballon von Gottfried Aust in Hallerstein am Turnerheim von einem Schüler namens Udo Ittner aus Schwarzenbach/ Saale gefunden worden war.
Zu den Feierlichkeiten kam auch Henry Leupold aus den USA in seine Heimatstadt Helmbrechts. Es handelt sich dabei um den schon erwähnten Heinrich Leupold, der im Jahr 1920 dem Verein großzügig aus der finanziellen Not geholfen hatte.
Im „Turnerruf“ zum 100-jährigen Jubiläum sind Berichte bereits bestehender Abteilungen zu finden, z.B. der Fecht-, Handball-, Tischtennis- und Schülerabteilung. Anfang der 70er Jahre leiteten Horst Reichel, Sophie Drescher und Marianne Mergner die von Herbert Hirschberger aufgebaute Schülerabteilung. Sophie Drescher wurde mit ihren Turnerinnen mehrfach bayerischer Meister in der Gruppengymnastik und stieß auf Bundesebene unter die zehn Besten vor.
Noch einmal – von 1971 bis 1976 – stellte sich Herbert Hirschberger dem TVH zur Verfügung, und zwar als 1. Vorstand. Nach seinem Tod übernahm Rudolf Schelzke die Führung des Vereins. Er trieb die notwendigen Renovierungsarbeiten an der Halle fachgerecht voran und bemühte sich nun um verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, die ihm als Repräsentant in mehreren Gremien auch vorzüglich gelang. Leider verstarb er 1978 viel zu früh, was einen schweren Verlust nicht nur für den Turnverein bedeutete.
In den 70-iger Jahren konnte trotz aller wohl gemeinten Versuche das Geräteturnen nicht wieder belebt werden, denn die Jugend wandte sich wie überall den populären Ballsportarten zu. Die Handballhochburg Helmbrechts ist ein deutlicher Beweis für diese Entwicklung. In dieser Zeit, nämlich 1971 entstand auch eine Judoabteilung, die bis heute viele Erfolge vorzuweisen hat.
Seit 1980 stand an der Spitze unseres Vereins Karl-Heinz Gluth, der ihn bis 1999 führte. Nach den Jubiläumsfeierlichkeiten von 1982 konnte ein beachtlicher Mitgliederzuwachs verzeichnet werden. Erwähnenswert in dieser Zeit sind besonders die öffentlichen „bunten Nachmittage“ des Vereins, die die Vereinsarbeit demonstrieren sollten und den Teilnehmern immer viel Spaß bereiteten.
Die zunehmende Anzahl an Abteilungen, die in den folgenden Jahren gegründet wurden, zeigen, dass der TVH ein moderner Verein ist, dem es wohl bewusst ist, dass er Mitglieder nicht nur durch das Angebot traditioneller Bewegungsmöglichkeiten halten, bzw. gewinnen kann, sondern eben auch durch Trendsportarten. Dies ist besonders wichtig für unsere Kinder und Jugendlichen, die im Zeitalter von Fernseher und Computer häufig unter Bewegungsmangel leiden.
Dazu passt ein Gedanke des 1. Vorsitzenden von 1962, Martin Mähringer, der im „Turnergruß“ schrieb:
„Die Mitarbeit verlangt eine Bereitwilligkeit, die nicht bezahlt werden kann, einen Idealismus, den wir rühmen dürfen, mit dem wir uns aber nicht brüsten und den wir nie verraten wollen!“